Alfred Koerppen über die Kammeroper „Preußisch Doppelbild“ von Ulrich Kallmeyer
„Die Musik Ihrer Oper ist fesselnd, von kammermusikalischer Durchsichtigkeit und Noblesse, feinsinnig, stark in der Erfindung, ja,
sie erzeugt Momente von „Ergriffenheit“, wie sie in neuer Musik selten vorkommen. Sie ist modern ohne modernistisch zu sein, sie ist
eloquent, d.h. sie ist reich an Idiomen und genau beweglich auf die szenischen Situationen hingeordnet, ohne zu historisieren; (ich
denke, man würde „Es waren einmal drei Reiter“ missverstehen, wollte man darin eine Stilkopie oder „archaisierende Verfremdung“ vernehmen).
Die Gestik der Musik ist stets verständlich und sinnvoll, so wenn am Anfang die Stimmen sich im Simultanspiegeln bewegen und so eine schnell
zu erfassende Metapher für das „Doppelbild“ vorstellen. Die Partitur ist ein kalligraphisches Meisterstück an minutiöser, bestimmtester
Organisation, sowohl der Musik als auch der Szene, eine „Apotheose kompositorischer Solidität“, wenn Sie dieses Epitheton ornans nicht als einschränkend empfinden - “
"Spannungsvoll und konzentriert"
Lajos Rovatkay über die Kammeroper "Preußisch Doppelbild" von Ulrich Kallmeyer
Bereits der sonst etwas diffuse Begriff „Kammeroper“ erscheint im Falle von Ulrich Kallmeyers „Preußisch Doppelbild“ durchaus triftig. Das auf der Bühne dargestellte Zimmer fasst nicht nur die gesamte Zweipersonenhandlung, sondern auch das Orchester. Dieses ist ein Kammerorchester aus lauter Solisten, die nicht umsonst auf der Bühne sitzen, denn einige von ihnen müssen nicht nur die Noten, sondern auch Theater spielen. Dass der ebenfalls auf der Bühne postierte Dirigent (weit rechts, damit er den Blick nicht versperrt) gewissermaßen auch ein Teil der Handlung wird, gehört mit zum Erscheinungsbild dieses räumlich und vor allem künstlerisch überaus konzentriert gefassten Stückes.
Konzentriert ist zunächst auch die Handlung. Sie überschreitet nicht die äußerlich wenig spektakuläre, aber innerlich um so verwickeltere Welt einer (exemplarischen?) Zweierbeziehung. Die Fülle der krassen, grotesken und mehrschichtig subtilen Situationen sind dabei dergestalt, dass der Betrachter seinen eigene Phantasie stets aktivieren darf und soll. Hintergründigkeit ist gefragt, Prüderie merklich weniger. Dass die Rollenverteilung in einer Zweierbeziehung so oder so sein kann, wird hier ebenfalls realisiert. Im zweiten Teil des Stückes, wenn die Rollen vertauscht werden, geht es sogar (wie bei einem umgepolten Elektromotor) rückwärts: die Reihenfolge der Szenen wird quasi umgekehrt, freilich mit allerlei geschlechtsbedingten Modifikationen. Der Titel „Preußisch Doppelbild“ spielt auf diese spiegelverkehrte Symmetrie an in der Assoziation eines preußischen Spielkartenblattes.
Preußisch ist aber an dieser Kammeroper sonst nichts und an der Musik schon gar nichts. Zwar zeichnet sich die Partitur durch„Gründlichkeit
und Fleiß“ aus, doch im allerbesten Sinne des Wortes (und wie man früher gut fundierte Arbeit bezeichnet hat).
Das Können und der hohe Anspruch des Komponisten garantieren eine Musik auf sehr hohem Niveau. Dass Kallmeyers musikalische Dramaturgie keineswegs bloß illustrierend sein will, liegt auf der Hand. Man hört autonome Musik, die das Bühnengeschehen gleichsam überhöht. Kallmeyers minutiös durchgearbeiteter Satz agiert eindeutig und überzeugend für die Spannungsverläufe der Handlungsstruktur mit der Feinnervigkeit kammermusikalischer Feinstruktur. Die vielfältig und sehr transparent entfalteten Farben des Streicher-Bläser-Ensembles, die Wirkungen des sehr differenziert eingesetzten Schlagzeugs entwachsen stets einer motivisch-kontrapunktischen Grundkonzeption.
Kallmeyers meisterhafte, mit klar fassbaren Motiven arbeitende kontrapunktische Strukturen kümmern sich wenig um Dogmen und Ideologie der „Neuen Musik“, assoziieren aber ebenso wenig Strawinsky oder Hindemith – trotz der immer wieder zutage tretenden motorischen Vehemenz der Bewegung. Das Singen der beiden handelnden Personen ordnet sich sehr gezielt und fein abgestuft ein in das durchaus instrumental geprägte Klanggeschehen. Die Partie des Soprans erschien besonders einprägsam im Gestus. Der zunächst als eigenbrötlerische Sonderling vorgestellte Bariton wartet allerdings mit kontrastierenden Pointen auf und hat im Laufe des Stücks einiges an sängerischer Diktion zu bieten. Die Bruchlosigkeit, mit der das zweistimmig gesungenen alte Volkslied sich dramaturgisch einfügt, bleibt ebenso Kallmeyers Geheimnis wie die dabei angewandte Satztechnik, die archaische Patina des Vokalen mit feinen Klangstrukturen des Instrumentalen souverän verbindet.